Schopenhauer auf Reisen


15. Mai 2025 | Gastbeitrag


Von Michael Crass

 

Aus Schopenhauers Werk und Briefen ist herauszulesen, welche Bedeutung Orte für sein Leben und vermutlich auch für sein Denken hatten. Man denke nur an die englische Sprache, mit der er sich 1803 England monatelang verständigen musste, an die "Galeeren-Sklaven" in Toulon 1804 oder seine geselligen und heiteren Italienreisen auf Goethes Spuren. Aus diesem Grund erschien es lohnenswert, die Stationen seiner Reisen auf einer Karte darzustellen und ein "Nach-Reisen" zu erleichtern: "Sehn u. Erfahren ist so nöthig als Lesen u. Lernen." (Brief an Osann, 21. Mai 1824)
Link zur Karte (externer Link)

Obwohl insbesondere seine Reisen mit den Eltern in den Reisetagebüchern gut dokumentiert sind, gibt es einige Schwierigkeiten bei der Rekonstruktion der Orte. Immer wieder wurden Grenzen verschoben, sodass viele Orte nach rund 200 Jahren andere Namen haben. Manche Dörfer existieren vielleicht auch überhaupt nicht mehr.


Die Reise mit der Familie von 1800 fand aus heutiger Perspektive in Deutschland bzw. Tschechien statt. Sie begann und endete in Hamburg (Juli bis Oktober 1800). Im auch noch heute deutschen Teil sind die großen Städte namentlich leicht auf heutigen Karten zu finden (bspw. Hannover, Göttigen, Weimar). Einige kleinere Städte sind abgekürzt oder in anderer Schreibweise bei Schopenhauer zu finden – jedenfalls falls es keine Transkriptionsfehler gab: Esche[de], Brügge[n] und Schleiss [Schleiz]. Im heutigen Tschechien sind Orte wie Liebkowitz [Lubenec], Schönhof [Krásný Dvůr], Saaz [Žatec], Schlan [Slaný] und Peterswalde [Petrovice] etwas schwieriger ausfindig zu machen. Immerhin ist Prag einfach zu finden. Zurück im heutigen Deutschland gibt es weitere Orte mit anderen Schreibweisen, wie etwa Elsterwerder [Elsterwerda], aber auch größere Städte wie Berlin, Leipzig und Wolfsburg. Nicht aufzufinden war allerdings der kleine Ort Costrun, zwischen Halberstadt und Braunschweig, an dem Schopenhauer am 13. Oktober 1800 ankam. Weitere, eher kleine sprachliche Abweichungen waren Elsdorf [Ebstorf] und Zollenspyker [Zollenspieker].


Die große Europa-Reise vom 3. Mai 1803 bis 1805 war von einer ganz anderen Dimension. Diese Reise führte von Hamburg über Bremen, Amsterdam, Ammersforth [Amersfoort], Antwerpen, Dünkerque [Dünkirchen] bis nach London. Viele Orte waren aufgrund der Fremdsprachen schwieriger zu finden. Beeindruckend gut dokumentiert sind die vielen Reisen in England: u.a. Covent Garden (24., 27. September, 3. Oktober, 17. Oktober 1803), Pauls-Kirche [Saint Paul´s Cathedral] (27. Oktober 1803), Tower [of London] (17. Juni 1803) und Westminster-Abtey [Westminster Abbey] (14. Juni 1803). Davon sind noch heute viele Orte für Touristen interessant. Nach dem Übersetzen auf den Kontinent folgen nach belgischen Städten wie Brüssel oder Mons (Bergen), die französischen Städte, zuerst im Norden, bis nach Paris. Dort kann man wieder gut vergleichen, wie ausgiebig der Tourismus der wenigen finanziell gut gestellten Menschen war, die vor 200 Jahren solche Reisen unternehmen konnten: Notre-Dame (14. Januar 1804) einmal zu sehen, gehört heute sicher noch dazu, Versailles mehrfach zu sehen möglicherweise auch (4. Dezember 1803, 22. Januar 1804), aber nur wenige Menschen sind heute in der Lage, dem Louvre die Aufmerksamkeit zu schenken, die Schopenhauer dafür scheinbar übrig hatte (7., 8., 10., 13., 27., 28., 29. Dezember 1803, 19., 20. Januar 1804). Nach einer Station in [Le] Havre (17. Dezember 1803), wo er bereits ab 1797 zwei Jahre zum Erlernen der Sprache weit entfernt von der Familie untergebracht war, geht es innerhalb von knapp zwei Monaten nach Bordeaux. Orte wie Châtellereau [Châtellerault] machen die Zuordnung schwieriger, allerdings war festzustellen, dass die Namen der französischen Städte in den 200 Jahre alten Aufzeichnungen (bereits transkribiert) wesentlich einfacher einer heutigen Karte zuzuordnen waren, als viele Orte, die damals als deutsch hätten bezeichnet werden können. Danach folgen mit Narbonne, Montpellier und Marseille (8. April 1804) französische Städte an der Côte d’Azur. Schließlich kommt die Familie in Lion [Lyon] und dann in der Schweiz an. Unbekannt blieben in Frankreich vergleichsweise wenige Orte: "Beauregard nahe bey Versailles" (01.01.1804), Cette (02.04.1804) und Tein (01.05.1804). Davor sind es Coßdorf (zwischen Harburg und Bremen) (03.05.1803), "kleinen Dorfe noch eine Meile von Deventer" (08.05.1803), Brug (Dorf) (16.05.1803) und Busch ("ehemaligen Lustschlosse des Stadthalters") (18.05.1803). Im heutigen Österreich ist Malko (Melk?) (26.06.1804) und im heutigen Polen ist Stanstorf (01.08.1804) offen geblieben. 


Die Italienreisen von 1818 und 1822 sind von Schopenhauer leider deutlich weniger dokumentiert worden. Hierzu haben die Arbeiten von Ernst Ziegler ("Et in Arcadia ego. Arthur Schopenhauer und Italien.") geholfen. Soweit die Orte bekannt waren, sind sie in der Karte verzeichnet. Besonders interessant ist es, seine Briefe diesen Stationen zuzuordnen. Beispielsweise ist Schopenhauers längerer Aufenthalt in München auch in Briefen dokumentiert. Der glücklichen Zeit in Italien war eine sehr unglückliche Zeit mit vielen körperlichen Einschränkungen in München gefolgt. |

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